Familie haben wir alle. Es gibt einmal die Familie, aus der wir stammen und die Familie, die wir selber gründen. Hier geht es um die Familie, aus der ich stamme und das ist leider nur noch ein Trauerspiel.
Ich bin geboren 1978 und war bis zum 12. Lebensjahr Einzelkind. Hier folgte dann mein heutiger Bruder, der als einziger noch übrig ist. Unser Vater verstarb 2013 mit 59 Jahren an seinem 2. Herzinfarkt und unsere Mutter, mit 63, 2021 an ihrem 2. Krebsleiden. Oma und Opa sind bereits verstorben, so wie es die Natur im Alter vorsieht.
Wie man unschwer erkennen kann, sind unsere Eltern nicht gerade alt geworden. Beide sind durch Krankheit aus dem Leben gerissen worden und wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.
Ich bin seit 2004 verheiratet und habe Kinder. Das ist meine Familie. Mein Bruder, um den es hier in erster Linie geht, ist alleinlebend und hat mit meiner Familie nicht wirklich was am Hut. Geburtstage werden eingehalten, bei den Erwachsenen zumindest und bei meinen Kids werden stets welche vergessen.
Es gibt auch keine Weihnachtsgrüße oder kleine Geschenke für irgendwen. Hier geht es um die Geste und nicht der materielle Wert. Es ist so, als wenn ich nur als Randgruppe mit meiner Familie existiere.
Mein Bruder hatte Anfang dieses Jahres einen schweren, unverschuldeten Autounfall und hier stand lange im Raum, ob er diesen überlebt. Zum Glück aller hat er dies. In der Phase des Krankenhauses und Reha schien es so, als wenn mein Bruder, durch diesen Unfall, erfahren hätte, dass es noch Leute gibt, die zu seiner Familie gehören. Er ist Onkel und Bruder.
Es gab viele Nachrichten die geschrieben wurden, es gab Telefonate und und und. Leider hat dann irgendwann wieder der Alltag eingesetzt und mein Bruder ist in sein altes Muster verfallen, niemanden mehr wirklich zu kennen oder Interesse an diesen Personen zu haben.
In Bezug auf meine Störung will ich gar nicht anfangen. Hier gab es nicht eine Nachfrage der Hilfe oder Unterstützung. Es existiert alles nur so, wie er es für sich gerade benötigt oder wahrnimmt. Das macht mich traurig und gibt mir ein großes Fragezeichen.
Ich weiß, dass man Menschen nicht verändern kann, ich weiß, dass Menschen nicht so sind, wie man selbst, ich weiß, dass man mit den Macken anderer leben muss. Aber was ist das für eine Familie? Ich erlebe im Bekanntenkreis und in der Nachbarschaft, wie Familien agieren und leben. So etwas, in dieser Richtung, gab es bei uns noch nie. Traurig, oder?
Kraft gibt mir dann meine gegründete Familie und meine Kinder. Diese kennen das nicht anders, dass von meinem Stammbaum nur noch eine Person über ist und diese Person andere Dinge als Priorität hat. So war es auch heute, nach einem 25 Minuten Telefonat.
Lange habe ich meinen Bruder nicht gesprochen, weil er nach seinem Unfall in Behandlung ist und in seinen Beruf wieder eingeführt wird. Das Gespräch drehte sich kurz um meine Arbeit, um meine Frau und schlussendlich um seine nun bevorstehen, weiteren Operationen aus dem Unfall.
Das einzige, was ich selbst von meinen Kindern erzählt habe, waren die tollen Zeugnisse, auf die ich sehr stolz bin. Eine Nachfrage, wie es sonst bei den Kids aussieht, Fehlanzeige.
Nach dem Gespräch habe ich dann meinen besten Freund anrufen müssen. Mir ging es echt bescheiden. Es schmerzt sehr, dass wir nach dem Unfall uns gesorgt haben und täglich Updates bekamen, wie es um ihn steht, aber dass jetzt wieder der alte Zustand vorliegt, hinterfragt doch alles!
Ich bin darüber sehr angefressen und werde lernen müssen, damit zu leben. Jeder lebt so wie er es für sich am besten oder richtig hält. Das kann man gut finden oder nicht. Familie ist nicht gleich Familie.